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Kapitel 3

  Geron zuckt zusammen.

  Für den Bruchteil einer Sekunde lockert sich der Griff des Kriegers hinter ihm, nicht viel, aber genug, dass Geron die Spannung in den Seilen spürt. Dann ein zweiter Knall, noch n?her, gefolgt von einem dumpfen Ger?usch. Instinktiv wirft er den Kopf herum.

  Der zweite Fackeltr?ger taumelt rückw?rts, als h?tte ihn eine unsichtbare Faust getroffen. Die Fackel entgleitet seinen Fingern, prallt gegen den feuchten Waldboden und sendet tanzende Funken in die Luft. Ein dunkler Schatten scheint sich in der Brust des Varrokai-Kriegers auszubreiten. Dann erkennt Geron es: ein Pfeil, tief im metallenen Brustpanzer verankert. Die Silhouette des Kriegers zuckt, ein keuchender Laut dringt aus seiner Kehle. Dann trifft ihn ein zweiter Pfeil, und sein K?rper sackt in sich zusammen.

  Die blau-goldenen Federn an den Pfeilen gl?nzen kurz im flackernden Licht der fallengelassenen Fackel.

  Pfeile der Mé’R?n.

  Gerons Herz schl?gt schneller. Hilfe! Oder zumindest eine Ablenkung. Er spannt seine Finger, testet das Seil. Es sitzt noch immer fest genug, um ihn zu behindern, aber nicht so straff, dass es ihn v?llig bewegungsunf?hig macht. Er windet seine H?nde, versucht, die Fesseln zu lockern, doch das raue Material bei?t sich in seine Haut. Er grunzt frustriert, blickt über die Schulter und sieht einen weiteren Varrokai-Krieger, der reglos am Boden liegt. Ein Pfeil hat seinen Helm durchbohrt.

  Gerons Blick wandert zu der Waffe des Gefallenen. Das Schwert! Er lehnt sich zurück, tastet mit gefesselten H?nden nach dem kalten Metall. Seine Finger streichen über den Griff, tasten sich zu der scharfen Klinge vor. Er setzt das Seil vorsichtig an der Schneide an, bewegt es langsam hin und her, w?hrend er die Z?hne zusammenbei?t.

  Um ihn herum herrscht Chaos.

  Die Varrokai haben ihre Waffen gezogen. Ihre K?pfe schnellen umher, suchend, wachsam. Ihre gelblichen Augen durchdringen die Dunkelheit. Einer der Bogenschützen hebt seinen Bogen. Doch ein weiteres sirrendes Ger?usch durchschneidet die Luft, gefolgt von einem dumpfen Aufprall.

  Ein schriller Schrei.

  Geron wagt es nicht, sich umzusehen. Er wei? genau, was passiert ist. Ein kurzes Grinsen huscht über sein Gesicht. Einer von ihnen. Einer von denen, die ihn gezwungen hatten, Ferions Tod mitanzusehen.

  Genugtuung brennt in seiner Brust.

  Er verst?rkt seine Bemühungen. Das Seil reibt über die Klinge, Fasern l?sen sich, feine Striemen bilden sich auf seinen Handgelenken. Er presst die Lippen zusammen, ignoriert den Schmerz.

  Pl?tzlich – ein Ruck. Seine H?nde schnellen auseinander. Die Fesseln sind gel?st.

  Der Offizier wirbelt herum und sprintet zu seinem Pferd. Seine Rüstung klirrt bei jedem hastigen Schritt, sein Mantel flattert hinter ihm wie ein dunkler Schatten in der flackernden Glut der fallengelassenen Fackel.

  Geron spürt, wie hei?es Blut durch seine Adern pumpt. Wut und Zorn treiben ihn an. Seine H?nde ballen sich zu F?usten, seine Beine spannen sich. Ohne zu z?gern rei?t er sich aus der Starre und setzt zum Sprint an, den Offizier im Blick, seine Muskeln bereit, ihn niederzustrecken.

  Pl?tzlich zischt ein Pfeil haarscharf an seiner Schulter vorbei. Geron rei?t den Kopf herum. Der verbliebene Bogenschütze steht keine fünf Schritte von ihm entfernt, die Sehne seines Bogens bereits wieder gespannt. In seinen Augen lodert t?dlicher Fokus, sein Griff um den Schaft des Pfeils ist unnachgiebig. Diesmal würde er nicht verfehlen.

  Mit einer ruckartigen Bewegung rei?t Geron die Arme nach vorne. Kaltes, klares Wasser sammelt sich in seinen Handfl?chen, verdichtet sich mit einer pl?tzlichen, unsichtbaren Kraft und schnellt als peitschender Strahl auf den Bogenschützen zu. Das Wasser trifft mit Wucht auf den Bogen, rei?t ihn aus den H?nden des Kriegers und schleudert ihn klirrend zu Boden. Doch ehe Geron durchatmen kann, erahnt er eine Bewegung aus dem Augenwinkel.

  Der zweite Fackeltr?ger stürmt auf ihn zu.

  Seine Stiefel graben sich in den feuchten Waldboden, w?hrend er mit einer einzigen, flüssigen Bewegung das Kurzschwert hebt. Das Licht der lodernden Fackel spiegelt sich auf der t?dlichen Klinge. Geron wirbelt herum und schleudert seine Wasserpeitsche in Richtung des Angreifers, doch er verfehlt.

  Zu sp?t. Der Krieger ist schon zu nah.

  Gerons Gedanken rasen. Seine Muskeln spannen sich an, doch er wei?, dass er nicht schnell genug ist, um auszuweichen – und dann blitzen pl?tzlich die Worte seines Vaters in seinem Geist auf.

  "Die Kurzschwertk?mpfer der Varrokai stechen. Sie schwingen ihre Waffen nicht. Sie sind für enge G?nge ausgebildet. Das ist ihre Schw?che!"

  Der Krieger setzt zum Stich an, sein ganzer K?rper nach vorne geworfen, die Spitze der Klinge auf Gerons Brust gerichtet.

  Jetzt!

  Geron springt zur Seite, wirbelt aus der Bahn der Waffe und spürt den Windzug des t?dlichen Sto?es an seiner Hüfte. Der Krieger taumelt ein Stück nach vorn, aus dem Gleichgewicht durch den unerwarteten Fehlschlag. Geron nutzt die Gelegenheit. Mit einer knappen Bewegung ruft er die Wasserpeitsche zurück, sammelt ihre Kraft in seiner Hand und l?sst sie in einer flüssigen Bewegung um die Beine des Kriegers schnellen. Noch ehe der Varrokai reagieren kann, zieht Geron seine Hand mit aller Kraft zurück.

  Die Peitsche zieht sich straff. Ein keuchender Laut entf?hrt dem Krieger, als seine Beine unter ihm weggeschlagen werden. Sein K?rper kracht zu Boden, das Kurzschwert f?llt aus seiner Hand und schl?gt dumpf auf das feuchte Laub.

  Geron atmet schwer. Seine Brust hebt und senkt sich rasch, w?hrend er sich hastig umsieht. Wo ist der Offizier? Er sucht die Schatten ab, die glimmenden Lichter der verstreuten Fackeln. Doch da ist nichts. Nur Dunkelheit.

  Der Offizier ist weg.

  In der Ferne verklingt das dumpfe Galoppieren eines Pferdes zwischen den B?umen. Der Offizier ist fort. Gerons Atem geht schwer, sein K?rper bebt noch von der Anspannung des Kampfes, doch sein Blick bleibt auf die dunklen Schatten zwischen den St?mmen gerichtet.

  Er will hinterher, will den Mann einholen, ihn vom Pferd rei?en und ihn für alles bezahlen lassen, doch der Kampf ist noch nicht vorbei. Ein Ger?usch, kaum mehr als das Rascheln von Schritten auf feuchtem Laub.

  Dann ein Ruf, scharf wie eine Klinge, aus den Tiefen des Waldes: ?Hinter dir!“

  Geron rei?t den Kopf herum. Sein Blick trifft auf eine dunkle Silhouette, kaum mehr als ein Schatten in der Nacht. Doch die Klinge in ihrer Hand glitzert im flackernden Licht der niedergebrannten Fackeln. Der verbliebene Bogenschütze, nun ohne Bogen, stürmt auf ihn zu, ein Dolch fest umklammert, seine Augen erfüllt mit unb?ndiger Wut.

  Geron spannt seine Muskeln. Sein K?rper ist bereit, sein Geist hellwach. Er atmet tief ein.

  Er wartet.

  Sekunden dehnen sich zur Ewigkeit.

  Der Krieger muss noch n?herkommen. Noch ein Stück. Noch ein kleines bisschen…

  Pl?tzlich bewegt sich etwas in seinem Augenwinkel. Eine Gestalt, lautlos wie eine Raubkatze, tritt aus den Schatten. Ein Stab blitzt in der Dunkelheit auf. Die h?lzerne Waffe trifft mit voller Wucht in den Bauch des Varrokai. Ein ersticktes Keuchen entweicht seiner Kehle, sein Schritt stockt, er taumelt. Ein zweiter Hieb, schnell, gezielt. Der Stab schl?gt ihm hart gegen den ungeschützten Nacken. Der Varrokai stürzt zu Boden, sein Dolch rutscht ihm aus den Fingern und bleibt im feuchten Waldboden stecken.

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  Geron blinzelt. Jetzt, da er den Angreifer richtig sehen kann, erkennt er die geschmeidige Lederrüstung, die über der dunkelblauen Robe liegt. Goldene Schnallen gl?nzen an Schultern und Brust, ihr Stoff ist leicht, aber widerstandsf?hig.

  Eine Mé’R?n-Kriegerin.

  Sie verliert keine Zeit. Mit einer mühelosen Bewegung l?sst sie den Stab sinken, kniet sich neben den am Boden liegenden Fackeltr?ger, der vergeblich versucht, seine Fü?e aus den Wasserfesseln zu befreien. Sein Atem ist erfüllt von Panik, seine H?nde kratzen hilflos über das glitschige, schlangenhafte Wasser, das seine Beine umklammert h?lt.

  Die Kriegerin greift das am Boden liegende Kurzschwert des Varrokai, hebt es an und z?gert keinen Moment. Die Klinge durchdringt die schwache Stelle seines Brustpanzers. Ein erstickter Laut, dann Stille.

  Geron starrt auf die leblose Gestalt, bevor sein Blick wieder auf die Mé’R?n f?llt. Sie erhebt sich langsam, dreht sich zu ihm um, ihre dunklen Augen ruhen auf ihm. Ihre Stimme ist ruhig, doch ihr Tonfall tr?gt eine unterschwellige Sch?rfe.

  ?Der Bogenschütze geh?rt dir.“

  Geron runzelt die Stirn. ?Was?“

  Die Kriegerin deutet mit einem knappen Nicken auf den letzten verbliebenen Feind. ?Nach alldem, was er dir angetan hat.“

  Ohne ein weiteres Wort kniet sie sich neben den toten Varrokai, l?st den K?cher mit den Pfeilen von seinem Rücken und beginnt, diese mit ruhiger Sorgfalt zu inspizieren.

  Geron dreht sich langsam um.

  Dort, wenige Schritte von ihm entfernt, steht der Bogenschütze. Sein Gesicht ist bleich, sein K?rper angespannt. Seine Finger zucken, als würde er nach einer Waffe suchen, doch sein Bogen liegt weit au?er Reichweite.

  Seine Augen treffen die von Geron. Und zum ersten Mal an diesem Abend erkennt Geron in ihnen etwas, das zuvor nicht dort war.

  Furcht.

  Geron starrt auf den letzten verbliebenen Varrokai-Krieger, der gekrümmt vor ihm auf dem feuchten Waldboden liegt. Seine Arme stützen seinen geschundenen K?rper, w?hrend seine Finger sich in das Moos krallen, als k?nne er sich daran festhalten, um nicht vollends zusammenzubrechen.

  Geron beugt sich langsam hinab und seine Finger schlie?en sich um den Dolch, den der Varrokai zuvor geführt hat. Die Klinge ist kalt, der Griff rau unter seiner Haut.

  Das ist der Moment. Der Moment der Rache. Der Moment der Genugtuung.

  Geron hebt den Arm, sein Herz h?mmert gegen seine Rippen. Die Spitze des Dolches schwebt nur zwei Klingenl?ngen über dem Hals seines Feindes. Ein einziger Sto?. Ein einziger, pr?ziser Schnitt, und es w?re vorbei. Seine Hand beginnt zu zittern. Ein pl?tzlicher Knoten schnürt ihm die Brust zu.

  Geron hat noch nie jemanden get?tet.

  Er hatte K?mpfe erlebt, er hatte Verletzungen erlitten, hatte sich verteidigt, hatte geschlagen, gesto?en, gepeitscht. Aber den letzten Schritt – das letzte, unausweichliche Ende – hatte er nie vollzogen.

  Ein wilder Strudel aus Emotionen rei?t ihn mit sich. Wut. Trauer. Aber auch Mitleid.

  Sein Blick f?llt auf das Gesicht des Varrokai. Trotz des Schmerzes, trotz der Angst, sieht Geron darin eine Spur von etwas anderem. Ein Schatten von etwas, das ihn selbst spiegelt.

  Hat dieser Mann gerade ebenfalls einen Freund verloren? Ein Bruder im Kampf? Ein Kamerad, der ihm nahestand? Hat er eine Familie, von der er seit Wochen keine Nachricht erhalten hat? Steckt auch in ihm dieser k?rperliche Schmerz, dieser seelische Abgrund, dieser unaufhaltsame Sog aus Verzweiflung und Wut?

  Gerons Griff um den Dolch lockert sich. Das Zittern, welches seine Finger durchl?uft, verst?rkt sich. Mit einem dumpfen Ger?usch f?llt die Klinge zu Boden.

  Geron senkt den Kopf und schlie?t kurz die Augen.

  Ein leises Knirschen von Schritten im Laub. Er hebt den Blick und sieht, wie die Mé’R?n-Kriegerin auf ihn zukommt. Ihre Haltung ist ruhig, fast gelassen, w?hrend sie einen frisch eingesammelten Pfeil zwischen den Fingern dreht.

  Ihre Augen glimmen im Dunkeln wie glühende Kohlen, w?hrend sie auf den verletzten Varrokai herabblickt.

  ?Du bist zu gn?dig“ sagt sie mit kühler Sachlichkeit. Geron hebt nur langsam den Blick zu ihr. Die Kriegerin h?lt inne und neigt ihren Kopf leicht zu Seite. ?Aber auch weitsichtig. Er kann uns helfen, etwas über ihre Pl?ne zu erfahren und wom?glich den Offizier zu finden.“

  Geron atmet tief durch. Sein Herz schl?gt immer noch heftig in seiner Brust, aber die Entscheidung ist gefallen.

  Der Varrokai wird leben. Zumindest vorerst.

  Auch wenn es nicht Gerons Absicht gewesen war, den Varrokai am Leben zu lassen, erkennt er, dass die Mé’R?n recht haben k?nnte. Ein Gefangener k?nnte ihnen wertvolle Informationen liefern. Informationen, die vielleicht über Leben und Tod entscheiden.

  Ein kurzer Windhauch streift über die Lichtung, l?sst die Bl?tter der nahen B?ume rascheln. Der Kampf ist vorüber, doch die Anspannung sitzt noch tief in seinen Knochen. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass er der Kriegerin noch gar nicht gedankt hat. Er holt tief Luft. ?Danke… dass du mich gerettet hast.“ Dann fügt er nach kurzem Z?gern hinzu: ?Mein Name ist Geron.“ Seine Stimme ist zittrig.

  Die Mé’R?n, die gerade dabei ist, dem gefesselten Varrokai die H?nde auf den Rücken zu binden, h?lt nicht inne. Sie zieht den Knoten fest, vielleicht ein wenig fester als n?tig. ?Ich wei?.“

  Geron runzelt die Stirn. Sie wei? es? Noch w?hrend er darüber nachdenkt, f?hrt sie fort, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben: ?Ich wollte Potamos eigentlich vor Anbruch der Nacht erreichen. Aber ich wurde aufgehalten…“

  Ein Schatten huscht über ihr Gesicht. Einen Moment lang scheint sie innezuhalten, als würde sie ihre eigenen Worte abw?gen, oder als h?tte eine Erinnerung sie gestreift, die sie lieber verdr?ngen würde. Dann zieht sie den Knoten mit einem ruckartigen Zug zu, sch?rfer, gewaltsamer als zuvor.

  ?Ich wollte die Stadt vor dem Hinterhalt warnen,“ f?hrt sie fort, w?hrend sie beginnt, die metallenen Rüstungsteile von dem gefesselten Krieger zu l?sen. ?Verr?terische Spione der Varrokai haben Fehlinformationen gestreut. Sie haben verbreitet, dass eine feindliche Flotte unterwegs nach Potamos sei. Doch das war eine Lüge. Die Varrokai wollten, dass sich unsere besten Seem?nner und -frauen gemeinsam mit den Feuermagiern dort versammeln…“ Sie blickt kurz auf. ?…um sie an einem einzigen Ort auszul?schen.“

  Geron fühlt, wie sich sein Magen verkrampft. Ein dumpfer Schmerz breitet sich in seiner Brust aus, als h?tte ihm jemand die Luft aus den Lungen getrieben.

  Ferion.

  Sein Blick verschwimmt für einen Moment. Ferion war vor einigen Tagen aus Epuron aufgebrochen. Er hatte sich voller überzeugung dem Kampf angeschlossen, entschlossen, die vermeintliche Flotte der Varrokai auf hoher See zu stellen.

  Aber es gab keine Flotte. Es war eine Falle.

  Seine Finger ballen sich unbewusst zu F?usten. Hatte Ferion es erkannt? Hatte er sich retten k?nnen? Oder war es bereits zu sp?t?

  Die Mé’R?n spricht weiter, ohne ihn aus seinen Gedanken zu rei?en: ?Wir haben erst vor wenigen Tagen davon erfahren. Es war nicht leicht, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Doch wir konnten eine der Spione ausfindig machen. Sie hat sich gewehrt… lange. Aber schlie?lich hat sie geredet.“

  Ihr Tonfall wird k?lter, als sie das sagt. Geron kann nur erahnen, welche Methoden sie angewandt hatten, um die Wahrheit aus der Spionin herauszupressen.

  ?Als wir es herausgefunden hatten, hat deine Mutter mich sofort nach Potamos geschickt.“

  Geron rei?t den Kopf hoch. Sein Blick f?hrt zur Mé’R?n, sein Herz setzt einen Schlag aus. ?Meine… Mutter?“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

  Sie lebt. Sie ist am Leben.

  ?Aber ich kam leider zu sp?t“, bedauert die Mé’R?n, w?hrend sie zwei Finger zwischen ihre Lippen legt und einen vogel?hnlichen Ruf erklingen l?sst. Ein Zwitschern, klar und scharf in der n?chtlichen Stille. Ihre Schultern heben und senken sich kaum merklich, als sie einen Moment inneh?lt. Dann, leise, mit einer Bitterkeit in der Stimme, die sich nicht ganz unterdrücken l?sst: ?Ich habe versagt.“

  Die Worte verhallen, und für einen Moment scheint es, als würde selbst der Wind schweigen. In der Ferne knacken Zweige unter hastigen Hufen. Ein Pferd tritt aus dem Schatten der B?ume hervor, das schwarze Fell gl?nzt im fahlen Mondlicht, die Muskeln unter seiner Haut arbeiten geschmeidig, als es angetrabt kommt.

  Die Mé’R?n hebt den Blick. ?Als ich dich in der Stadt suchte, sah ich, wie diese Bestien deinen Freund t?teten.“ Ihre Stimme ist ruhig, aber Geron h?rt die Wut darin, den unausgesprochenen Zorn auf die M?nner, die dieses Blutvergie?en verursacht hatten. ?Ich konnte es nicht verhindern. Wenigstens dich wollte ich retten. Das schulde ich deiner Mutter.“

  Geron will etwas sagen, aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken. Ein dumpfer Schmerz zieht sich durch seine Brust, w?hrend die Bilder in seinem Kopf aufblitzen. Ferion, k?mpfend, fallend, reglos am Boden. Geron greift nach seinem Gürtel, den die Varrokai ihm nicht abgenommen haben und entnimmt dem daran befindlichen Kr?uterbeutel ein weiteres Kunrah-Blatt.

  Er kann es nicht ?ndern. Er kann ihn nicht zurückholen. Aber die Schmerzen kann er zumindest auf Abstand halten.

  Stattdessen beobachtet er schweigend, wie die Mé’R?n sich zum gefesselten Varrokai herunterbeugt. Der Krieger st?hnt leise, sein K?rper sackt unter seinem eigenen Gewicht weg, und ohne das feste Zupacken der Mé’R?n würde er vermutlich auf die Knie sinken. Der Sack, der noch vor wenigen Minuten Gerons Sicht verdunkelt hatte, verhüllt nun das Gesicht des Gefangenen. Ironisch und doch be?ngstigend, wie schnell sich die Rollen vertauschen k?nnen.

  Mit einer geschmeidigen Bewegung wirft die Mé’R?n ein weiteres Seil um die Hüfte des Varrokai, zieht es straff und befestigt das andere Ende sicher am Sattel ihres Pferdes. ?Komm“, sagt sie und klopft zweimal auf das lederne Sattelhorn. ?Ich helfe dir hoch.“

  Geron z?gert. Er spürt immer noch die Ersch?pfung in seinen Gliedern, aber er wei?, dass sie keine Zeit verlieren dürfen. Also folgt er der Aufforderung, greift nach dem Sattel und zieht sich mit einem geübten Schwung hinauf. Kaum sitzt er, schwingt sich die Mé’R?n vor ihn auf das Pferd und greift die Zügel.

  Dann blickt sie sich um. Ihre Augen, in der Dunkelheit kaum zu erkennen, fixieren die beiden noch brennenden Fackeln. ?L?sche sie. Man muss nicht von Weitem sehen, was hier geschehen ist.“

  Geron nickt und hebt eine Hand. Das Wasser in der Luft folgt seinem Befehl. Ein geschmeidiger, schimmernder Schweif, der sich von seiner ausgestreckten Hand zu den Flammen windet. Ein Zischen, dann steigen dünne Rauchf?den auf, w?hrend die Dunkelheit sich über die Lichtung legt.

  Die Mé’R?n bleibt still. Erst als die Nacht sie vollst?ndig umschlossen hat, spricht sie erneut. ?Es muss be?ngstigend sein, im Dunkeln nicht sehen zu k?nnen.“ Geron wei? nicht, ob sie ihn meint oder den Varrokai hinter ihnen. Vielleicht beide. Dann, nach einer kurzen Pause, fügt sie hinzu: ?Mein Name ist übrigens Mephesaia.“

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