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Kapitel 4

  Leicht abseits des ausgetretenen Pfades bewegen sich Geron und Mephesaia auf ihrem Pferd durch den dichten Wald. Das Mondlicht bricht nur sp?rlich durch die hoch aufragenden Nadelb?ume, wirft blasse, verzerrte Schatten auf den feuchten Waldboden. Nadeln knistern leise unter den Hufen des Tieres, w?hrend ein kühler Nachtwind durch die Wipfel streicht.

  Hinter ihnen stolpert der gefesselte Varrokai-Krieger immer wieder über Wurzeln und hervorstehende Steine. Seine H?nde sind auf dem Rücken gebunden, sein Gang unkontrolliert, gehetzt, angetrieben von dem Seil, das ihn mit dem Pferd verbindet. Als er erneut strauchelt, rei?t ihn das Tempo des Tieres unbarmherzig nach vorn. Er stürzt, seine Knie schlagen hart auf den Boden, bevor ihn die Zugkraft über das feuchte Laub zieht.

  Ein gequ?lter Schrei hallt durch die Stille. ?Uhar vethar!“ brüllt er in seiner Muttersprache, seine Stimme keuchend, von Wut und Schmerz gleicherma?en durchtr?nkt. ?Tha’vek dosh me'thari!“

  Geron versteht die Worte nicht, aber die Verzweiflung darin ist unüberh?rbar. Der Krieger windet sich, versucht sich aufzurichten, doch kaum hat er Halt gefunden, zwingt ihn das n?chste Stolpern erneut zu Boden.

  ?Er wird noch zusammenbrechen, wenn das so weitergeht“, murmelt Geron leise, w?hrend er einen kurzen, mit einem Anflug vom Mitleid erfüllten Blick über die Schulter wirft.

  Mephesaia zeigt keine Regung. Ihr Blick bleibt auf den Pfad vor ihnen gerichtet, ihre Haltung entspannt, als w?re das Schauspiel hinter ihr nicht mehr als das Rascheln der Bl?tter im Wind. Sie lenkt das Pferd mit ruhiger Hand durch die eng stehenden St?mme, ohne sich von den gequ?lten Lauten ihres Gefangenen beirren zu lassen.

  ?Er redet viel für jemanden, der nichts anzubieten hat“, sagt sie schlie?lich und ihr Tonfall ist frei von Mitleid.

  Geron presst die Lippen zusammen. Es sollte es ihm fern liegen, Mitleid mit einem Varrokai zu empfinden, doch er kann das beklemmende Gefühl nicht abschütteln, das sich in seiner Brust regt.

  Der Krieger keucht. ?Tha’vek dosh me'thari! Kura vekh thara!“ Seine Stimme ist brüchig, seine Worte dr?ngend, flehend.

  ?Was sagt er?“ fragt Geron nach einer Weile.

  Mephesaia hebt kaum merklich das Kinn. ?Er bittet darum, nicht get?tet zu werden“, antwortet sie ruhig. Dann, mit einem Hauch von Belustigung in ihrer Stimme: ?Und er verflucht uns. Natürlich.“

  Geron atmet tief durch. Der Wald erstreckt sich noch weit vor ihnen, die Nacht ist lang und der Varrokai, so sehr er sich str?uben mag, wird sich der Dunkelheit ebenso wenig entziehen k?nnen wie seinem Schicksal.

  Gerons Gedanken kreisen unaufh?rlich, als sie durch die Dunkelheit reiten. Der gleichm??ige Rhythmus des Pferdes beruhigt seinen K?rper, doch in seinem Inneren tobt ein Sturm aus Fragen.

  Warum sollten sich K?mpfer der Wassernation und Feuermagier in Potamos sammeln? Warum ein solcher Hinterhalt? Es ergibt auf den ersten Blick wenig Sinn. Ja, die Wassernation ist bekannt für ihre überlegenen Navigatoren. Kein anderes Volk versteht es so gut, den Lauf der Gezeiten zu lesen, mit den Str?mungen zu arbeiten und die Schiffe selbst durch den dichtesten Nebel zu steuern. Und mit Feuermagiern an Bord w?ren ihre Schiffe der Flotte der Varrokai weit überlegen gewesen. In Kraft, in Geschwindigkeit, im direkten Kampf.

  Aber genau deshalb… w?re es nicht klüger gewesen, Potamos zu überfallen, solange diese K?mpfer noch nicht dort waren? Solange die Hafenmauern nur von der ?rtlichen Stadtwache verteidigt wurden? War die Einnahme von Potamos überhaupt das eigentliche Ziel?

  Oder war all das nur ein Ablenkungsman?ver?

  Gerons Stirn legt sich in tiefe Falten, w?hrend er in die Dunkelheit starrt, durch die nur ab und zu schwaches Mondlicht dringt.

  Woher kamen diese Truppen? Die Kriegsfront der Varrokai liegt, soweit er wei?, tief im Landesinneren der Windnation. Mindestens sieben Tagesritte entfernt. Und auch die Front auf dem Meer – selbst wenn sie sich schneller über Wasser fortbewegt haben – liegt mehrere Nachtzyklen entfernt. Keine dieser Distanzen l?sst sich heimlich überwinden. Nicht mit einer Truppe dieser Gr??e. Und doch… waren sie hier. Pl?tzlich. Koordiniert. Grausam.

  Er denkt an den Offizier. An Ferion. An das, was er gesehen hat, oder vielmehr, was er nicht begreifen konnte. Das Ritual. Das eigenartige Leuchten. Die Worte, die keine Worte waren, sondern wie aus einer anderen Zeit zu stammen schienen.

  Was war das?

  Geron reibt sich über das Gesicht, spürt die Müdigkeit in jeder Faser seines K?rpers. Trotz des stetigen Reitens, trotz der Bewegung, sinken seine Augenlider schwerer und schwerer.

  Er will weiterdenken, will die Gedanken nicht loslassen, als k?nne er die Wahrheit erzwingen, wenn er sie nur hartn?ckig genug verfolgt. Doch sein Geist kann nicht mehr Schritt halten mit der Flut an Fragen.

  Die W?rme von Mephesaias Rücken vor ihm, das beruhigende Schnauben des Pferdes und die kühle, feuchte Luft des Waldes. All das wird zu einem leisen Wiegenlied.

  Noch ehe er es bewusst wahrnimmt, sinkt sein Kopf leicht zur Seite. Die Bilder in seinem Kopf verschwimmen, l?sen sich auf. Geron f?llt in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

  Als Geron wieder zu sich kommt, fühlt es sich an, als h?tte er nur für einen Wimpernschlag die Augen geschlossen. Doch das fahle Licht des Morgengrauens, das nun sanft durch die Baumwipfel f?llt, verr?t ihm, dass die Nacht l?ngst vergangen ist. Die Sonne tastet sich in z?gerlichen Strahlen durch das dichte Ge?st, doch ihre W?rme hat den feuchten Schleier des Waldes noch nicht durchbrochen. Um ihn herum: nur B?ume, Str?ucher, Schatten.

  Verschlafen hebt Geron den Kopf. Seine Muskeln sind steif vom langen Sitzen, sein Rücken schmerzt vom Schlaf im Sattel. ?Wo reiten wir eigentlich hin?“ Seine Stimme ist verwaschen und heiser.

  Keine Antwort.

  Verwirrt dreht er sich langsam um. Der Varrokai-Krieger taumelt hinter dem Pferd her, mit den H?nden gefesselt, die Beine von Ersch?pfung schwer wie Blei. Seine Rüstung ist unvollst?ndig, das Metall zerkratzt, der Stoff darunter zerrissen. Kleine Wunden zieren seine Haut – blutige Schrammen an den Knien, ein aufgeschürftes Kinn, eine frische Platzwunde am rechten Schienbein. Offenbar ist er mehrmals gestürzt und über den Waldboden geschleift worden.

  ?Wir machen gleich eine Pause“, sagt Mephesaia pl?tzlich, ohne sich umzudrehen.

  Das Pferd wird langsamer, seine Hufe dringen nun nicht mehr dumpf in weichen Waldboden, sondern klopfen auf festeren Grund. Eine kleine Lichtung ?ffnet sich zwischen den B?umen. Inmitten des satten Grüns kreuzt ein schmaler, befestigter Weg ihren Pfad – nicht gepflastert, aber von Wagenr?dern festgefahren und von niedrigen Holzpf?hlen ges?umt. Vielleicht ist es der alte Handelsweg zwischen Potamos und Epuron. Geron ist sich nicht sicher. Alles sieht hier gleich aus: Moos, Rinde, Nebel.

  Mephesaia schwingt sich mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Sattel und reicht Geron die Hand. Er greift z?gerlich zu, l?sst sich herunterhelfen und spürt beim Aufkommen ein leichtes Ziehen in der Hüfte. Sein K?rper ist müde, sein Geist noch trüber.

  ?Ich habe die ganze Nacht die Spuren des Offiziers verfolgt“, erkl?rt sie, w?hrend sie den Varrokai mit einem Ruck zum Stehen bringt. ?Kurz bevor du wach wurdest, verlor sich seine F?hrte. Aber ich bin sicher, er ist hier vorbeigekommen. Vielleicht finde ich etwas an der Kreuzung.“

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  Sie bindet das Pferd an einen nahegelegenen Baumstamm, der von Moos überwuchert ist, und wendet sich dann wieder Geron zu. In ihrer Hand h?lt sie ihren Kampfstab, lang, aus dunklem, glatt poliertem Holz, mit filigranen goldenen Linien, die sich spiralf?rmig um den Schaft winden wie Ranken eines uralten Baumes.

  ?Hier. Nimm diesen Kampfstab an dich.“

  Geron blinzelt. Vorsichtig streckt er beide H?nde aus. Der Stab liegt schwer, aber ausbalanciert in seiner Hand. Die goldenen Einlegearbeiten gl?nzen matt im schr?gen Licht der Morgensonne.

  ?Als Wassermagier solltest du wenigstens die Grundtechniken beherrschen. Au?erdem“, sie blickt ihn kurz an, fast mit einem Anflug von Stolz in der Stimme, ?wird es Zeit, dass du deinen eigenen bekommst.“

  Geron schweigt. Seine Finger gleiten über das glatte Holz. Er erkennt sofort das Material. Er ist aus M?‘Rá-Holz, gewachsen nur in den Nebelw?ldern jenseits des Silbergebirges, selten und ehrwürdig. Ein Artefakt aus alter Mé’R?n-Handwerkskunst.

  Pl?tzlich fühlt Geron sich klein. Unvorbereitet. Unwürdig. Sein Vater hatte ihm einst die Grundlagen des Stabkampfes gezeigt, mit einem abgewetzten übungsstab aus Weidenholz. Doch Geron hatte sich nie sonderlich dafür interessiert. Er wollte heilen, nicht k?mpfen. Helfen, nicht verletzen.

  Er erinnert sich an die Abende mit seinem Vater, an das Gewicht des Stabes, das Spiel aus Ausweichen und Kontern. Wie weit entfernt diese Tage nun scheinen.

  ?Ich h?tte mehr üben sollen“, murmelt er mehr zu sich selbst als zu Mephesaia. ?Ich dachte, ich würde ihn nie brauchen.“

  Er blickt zu der Stelle, an der der Varrokai-Krieger nun schwer atmend kniet, ersch?pft und gebrochen, aber am Leben. Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht ist die Zeit des Helfens vorbei.

  Mephesaia antwortet nicht sofort. Stattdessen geht sie einige Schritte zur Weggabelung, bückt sich, berührt den Boden mit den Fingerspitzen.

  ?Sei wachsam, w?hrend ich mich umschaue“, sagt Mephesaia ruhig, aber mit einer Deutlichkeit in der Stimme, die keinen Widerspruch duldet. ?Nutze den Stab, wenn du ihn brauchst. Und wenn du Hunger hast, halte Ausschau nach Beerenstr?uchern oder Pilzen. Es w?chst genug Essbares in diesem Teil des Waldes. Ich werde sp?ter versuchen, ein Wild zu erlegen.“

  Sie zieht drei Pfeile aus dem K?cher auf ihrem Rücken, klemmt sie geschickt zwischen Ring- und kleinen Finger der linken Hand, w?hrend die gleiche Hand gleichzeitig den Griff ihres gebogenen Jagdbogens umfasst. Die Bewegung ist pr?zise, fast elegant. Ohne einen weiteren Blick zurück fügt sie hinzu: ?Und pass auf, dass unser Begleiter nicht wegl?uft. Wir brauchen den noch.“

  Mit langen, geschmeidigen Schritten begibt sich Mephesaia in die Mitte der Lichtung, bleibt dort kurz stehen und l?sst den Blick schweifen. Ihre Augen tasten das Gel?nde ab, suchen nach verborgenen Zeichen im Gras, nach zerbrochenen Zweigen oder gest?rtem Waldboden. Dann senkt sie langsam den Kopf, konzentriert sich auf die F?hrte. Sie ist ganz J?gerin jetzt, verschmolzen mit der Stille des Waldes.

  Geron bleibt zurück.

  Ein kühler Windhauch streicht durch die B?ume, bewegt kaum h?rbar die ?ste über ihm. Der feuchte Waldboden verstr?mt einen modrigen, aber beruhigenden Duft. Er wendet sich um und entdeckt den Varrokai-Krieger, der etwas hinter dem Pferd auf dem Boden sitzendend an einem Baumstamm lehnt. Die Arme noch immer auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht unter dem groben Leinenstoff verborgen, regungslos. Zumindest auf den ersten Blick.

  Doch dann bemerkt Geron, dass sich die Brust des Mannes hebt und senkt. Ruhig, aber schwer. Ein dumpfer Laut dringt zu ihm, kaum h?rbar. Ein leises, unterdrücktes Schluchzen.

  Vorsichtig n?hert er sich. Jeder Schritt über das feuchte Gras scheint lauter, als ihm lieb ist. Er bleibt stehen, kniet sich dann langsam hin. Der Krieger zuckt nicht, aber sein leises Weinen wird deutlicher. Ein menschliches Ger?usch, rau, brüchig, voller Ersch?pfung.

  Behutsam streckt Geron die Hand aus. Der Sack, der dem Mann über den Kopf gestülpt wurde, ist an einer Seite bereits etwas verrutscht. Mit zwei Fingern greift er nach dem Rand des groben Stoffes und zieht ihn langsam nach oben. Der Stoff kratzt dabei leise über die ungek?mmten Haare des Gefangenen.

  Darunter kommt ein junges Gesicht zum Vorschein. Blass, schmutzverschmiert, die Wangen ger?tet und mit getrockneten Tr?nenspuren überzogen. Die Augen des Varrokai sind geschwollen, blutunterlaufen und gl?nzen vor neuer Feuchtigkeit. Ein junger Mann, kaum ?lter als Geron selbst. Vielleicht zwei oder drei Winter mehr auf den Schultern, aber dennoch in diesem Moment nicht mehr als ein verletztes, ver?ngstigtes Wesen.

  Die Lippen sind trocken, blutig und rissig. Der Krieger versucht etwas zu sagen, müht sich verzweifelt, Worte zu formen. Doch es kommen nur abgehackte, erstickte Laute hervor wie das Kr?chzen eines verletzten Vogels. Seine Zunge scheint zu schwer, die Kehle zu trocken. Was immer er mitteilen will, bleibt ungeh?rt.

  Geron spürt, wie sich seine eigene Brust zusammenzieht. Er erkennt in den Augen des anderen keine Bedrohung. Kein Hass. Nur Angst. Verwirrung. Schmerz. Und die tiefe, kindliche Hoffnung, dass irgendjemand ihn versteht.

  ?Ich… Ich versteh dich nicht“, sagt Geron leise, beinahe entschuldigend. Doch der andere h?rt ihn gar nicht mehr richtig. Sein Gesicht verzerrt sich, seine Augen schlie?en sich fest. Eine neue Welle von Tr?nen übermannt ihn, lautlos, wie in sich hineingeschluckt. Es ist ein lautloser Zusammenbruch.

  Geron bleibt einen Moment lang kniend vor ihm sitzen. Der Stab ruht quer über seinen Oberschenkeln. Für einen Augenblick fühlt er sich vollkommen hilflos zwischen zwei Welten, von denen keine sich richtig anfühlt. In diesem Moment wirkt selbst das geflüsterte Rascheln der B?ume lauter als alles andere.

  Obwohl es genau dieser Mann ist, der ihn in der Nacht mit einem gezielten Schlag in den Bauch zu Boden geschickt und ihm im n?chsten Moment brutal den dreckverkrusteten Stiefel ins Gesicht gedrückt hat, empfindet Geron in diesem Moment nichts als Mitleid. Reines, aufrichtiges Mitleid. Der einst furchteinfl??ende Varrokai-Krieger, eben noch Sinnbild brutaler Macht, liegt nun vor ihm wie ein geschlagener Hund. Verwundet, erniedrigt, gebrochen. Der verhasste Tyrann ist nur noch ein Bauernopfer. Und Geron kann sich nicht dagegen wehren, in dem fremden Blick einen stummen Schrei zu erkennen: eine Bitte, vielleicht sogar Reue. Oder einfach nur Angst.

  Was wollte er ihm vorhin sagen? Die kr?chzenden Laute hallen noch in seinem Inneren nach, wie Fragmente eines Liedes in einer Sprache, die er nicht versteht.

  Geron blickt sich um. Irgendetwas Schalenartiges, etwas, mit dem er Wasser geben k?nnte… Nicht weit von ihm entfernt, halb unter Moos verborgen, liegt ein gr??eres Stück Baumrinde, das sich in der Mitte leicht w?lbt. Er hebt es auf, wischt die Unterseite grob ab und geht zurück zu dem am Boden liegenden Mann. Dann kniet er sich nieder.

  Seine rechte Hand streicht langsam über die glatte Innenseite der Rinde. Aus der Haut seiner Finger perlt leise Wasser hervor. Ein einfacher, kleiner Zauber, den er schon als Kind gelernt hat. Es ist keine gro?e Menge, aber genug. Das klare Wasser sammelt sich in der natürlichen Mulde der Rinde, ein Teil davon sickert durch winzige Risse, doch der Gro?teil bleibt erhalten.

  Der Varrokai beobachtet ihn, als wüsste er nicht, ob er einem Zauberer oder einem Geist gegenüberliegt. Seine Augen sind noch immer ger?tet, sein Blick vorsichtig, beinahe ?ngstlich. Geron bemerkt es.

  Langsam hebt er die improvisierte Schale, h?lt sie vor das Gesicht des Mannes. ?Wasser“, sagt er schlicht und ruhig.

  Doch der Varrokai schüttelt sofort den Kopf. Eine einzelne Tr?ne rollt über seine staubige Wange, bahnt sich ihren Weg durch Schmutz und Blut. Misstraut er ihm? Fürchtet er, das Wasser sei vergiftet?

  Geron z?gert einen Moment, dann führt er die Rinde an seine eigenen Lippen. Er trinkt einen kleinen Schluck, sichtlich betont. ?Gutes Wasser“, sagt er und l?chelt schwach. ?Trinken.“

  Ob der Mann seine Worte versteht, wei? Geron nicht. Aber etwas ver?ndert sich in dessen Gesicht. Die tiefe Skepsis weicht einem flackernden Funken von Hoffnung. Oder zumindest Durst. Seine Augen haften an der Rinde, seine trockenen Lippen beben.

  Z?gerlich neigt er den Kopf nach vorne. Geron hilft ihm dabei, h?lt die Schale still. Der Varrokai nimmt einen kleinen Schluck, h?lt inne und beginnt dann, hastiger zu trinken. Gierig, als w?re es das erste Wasser seit Tagen. Tropfen laufen über sein Kinn, vermischen sich mit Blut und Dreck.

  Als nichts mehr in der Rinde bleibt, zieht Geron die Schale langsam zurück. Der Varrokai lehnt den Kopf wieder gegen den Baumstamm, atmet schwer. Dann nickt er schwach. Ein stilles ?Danke“, das ohne Worte auskommt.

  Doch im n?chsten Moment durchzuckt ein pl?tzlicher Schmerz seinen K?rper. Der Krieger schreit leise auf, zieht die Schultern krampfhaft zusammen und kneift die Augen fest zu. Geron f?hrt erschrocken zurück. Er kann sehen, wie die Muskeln des Mannes zittern, wie sich Tr?nen erneut aus den Augenwinkeln drücken – diesmal nicht aus Angst, sondern aus k?rperlicher Qual. Die Wunden, die Schürfungen, die Prellungen fordern ihren Tribut.

  Erst nach einigen Atemzügen, die einem stummen Kampf gleichen, l?sst der Schmerz nach. Der Varrokai ?ffnet mühsam die Augen. Kurz treffen sie Gerons Blick. Ein flüchtiger Moment der Verbindung. Doch dann verengen sich die Augen schlagartig, sein Blick wandert über Gerons Schulter hinweg. Panik zeichnet sich in seinem Gesicht ab. Seine Pupillen weiten sich vor pl?tzlicher Furcht.

  Pl?tzlich schrei er auf. Seine Stimme ist jetzt klar, laut, von Angst durchdrungen.

  Geron springt auf, dreht sich im selben Moment herum – und erstarrt.

  Nur wenige Schritte entfernt schleichen drei W?lfe aus dem Schatten der B?ume. Ihre Felle sind grau-braun, zottelig, ihre Schultern gesenkt. Sie bewegen sich fast lautlos, aber mit t?dlicher Zielstrebigkeit. Die Lefzen sind hochgezogen, lange Rei?z?hne entbl??t. Die Ohren liegen flach am Kopf, der Blick starr auf die hilflose Gestalt am Boden gerichtet.

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