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Kapitel 2

  Geron wei? nicht, wie lange er schon gewandert ist. Seine Schritte sind schwer, jeder Tritt versinkt ein wenig im feuchten Waldboden. Die Luft ist kalt. Durch den Sack, der ihm übergestülpt wurde, kann er kaum atmen, seine eigenen Gedanken schwirren ihm durch den Kopf wie aufgescheuchte V?gel.

  Seit Stunden h?rt er nichts au?er den dumpfen Schritten der Krieger um ihn herum, das leise Klirren von Rüstungen und das rhythmische Traben eines Pferdes, das gem?chlich neben ihnen herl?uft. Manchmal wird er von hinten gesto?en, wenn er zu langsam wird. Das Seil, das seine Handgelenke auf dem Rücken zusammenbindet, schneidet in seine Haut. Jeder Schritt brennt.

  Sein Kopf ist ein einziges Chaos. Was soll er fühlen? Angst? Trauer? Wut? Er wei? nicht einmal, worauf er sich konzentrieren soll. Der Tod von Ferion ist wie ein Stachel in seinem Herzen, tief und schmerzhaft. Selbst das Kunrah kann diese Gedanken und die assoziierten Gefühle verdr?ngen. Die Bilder seines leblosen K?rpers lassen ihn nicht los. Doch noch schlimmer ist die Erinnerung an den Offizier. An das Ritual.

  Diese unnatürliche grüne Energie, die sich durch seinen Arm gewunden hatte. Die fremden Worte, gehaucht mit unheilvoller Inbrunst. ?Arad na tu beku…“ Was hat er mit Ferion gemacht? Was hat das zu bedeuten?

  Ein Schauer l?uft ihm über den Rücken, doch er hat keine Zeit, sich in seinen Gedanken zu verlieren. Ein erneuter Sto? trifft ihn in den Rücken, h?rter diesmal. Er stolpert, f?ngt sich gerade noch und geht weiter. Wohin sie ihn bringen, wei? er nicht. Und was sie mit ihm vorhaben.

  Die Schritte der Soldaten und das Traben des Pferdes verlangsamen sich. Geron h?rt, wie sich das Knirschen von Stiefeln im feuchten Waldboden verteilt, bis es schlie?lich ganz verstummt. Auch das Pferd schnaubt leise und tritt unruhig mit den Hufen auf der Stelle. Er bleibt stehen, wagt es nicht, sich zu bewegen. Die Varrokai unterhalten sich in ihrer fremden, scharf klingenden Sprache. Die Stimmen sind tief und rau, als würden sie aus Kehlen stammen, die an die K?lte der Schlacht und den Rauch verbrannter D?rfer gew?hnt sind.

  Pl?tzlich verstummen sie. Nur das leise Knarren eines Sattels ist noch zu h?ren, dann ein ged?mpftes St?hnen, als der Reiter von seinem Pferd absteigt. Seine Schritte sind unregelm??ig, schwer, von Schmerz gezeichnet.

  Ohne Vorwarnung trifft Geron ein Tritt in die Kniekehlen. Ein dumpfer Schmerz durchf?hrt ihn, als er unsanft auf den feuchten Boden sinkt. Das Moos d?mpft den Aufprall, doch er kann die K?lte der Erde durch seine Kleidung spüren. Ein stechender Geruch nach Metall, Leder, Schwei? und Blut dringt ihm in die Nase. Der Reiter. Er muss nun direkt vor ihm stehen.

  Dann wird der Sack brutal von seinem Kopf gerissen. Geron blinzelt gegen die pl?tzliche Dunkelheit, die nur von zwei flackernden Fackeln erhellt wird. Sie werfen unruhige Schatten auf die raue Rinde der B?ume und lassen die Umrisse der Varrokai-Krieger wie düstere Schemen wirken. Erst z?gert er, doch schlie?lich hebt er langsam den Blick.

  Da sind sie wieder, diese unnatürlich leuchtenden Augen. Das linke Auge, tiefbraun wie altes Holz, wirkt beinahe menschlich. Doch das rechte Auge glüht grünlich, als trage es eine eigene, abscheuliche Macht in sich. Der Offizier starrt auf ihn herab, und erst jetzt folgt Gerons Blick seiner Geste.

  Das rechte Bein des Offiziers.

  Selbst im schwachen Licht ist die Wunde deutlich zu erkennen. Der tiefe Schnitt an seinem Oberschenkel blutet noch immer, trotz der provisorischen Stoffbinde, die bereits mit dunklem Rot durchtr?nkt ist.

  "Heiler", kommandiert der Offizier mit tiefer, akzentreicher Stimme in der Sprache Perihelias.

  Gerons Magen verkrampft sich. Er hat es befürchtet. Aber war das der einzige Grund, weshalb sie ihn verschont hatten? Vermutlich nicht aus Mitleid. Wahrscheinlich auch nicht, weil er wertvolle Informationen besitzen k?nnte. Sondern weil er ihnen noch nützlich sein würde.

  "Heiler!" brüllt der Offizier diesmal und packt Geron unvermittelt am Hals.

  Geron keucht auf. Die kr?ftigen Finger schnüren ihm die Kehle zu, rauben ihm die Luft. Er spürt die raue Haut, die Schwielen eines Mannes, der unz?hlige Waffen geführt hat. Panik steigt in ihm auf. Sein Instinkt schreit nach Flucht, doch sein K?rper ist machtlos.

  "H?nde! Ich brauche meine H?nde!" kr?chzt er, so laut es ihm m?glich ist. Seine gefesselten Handgelenke brennen, als er vergeblich versucht, sich loszurei?en. Er hebt leicht den Kopf, deutet mit den Augen auf seine Fesseln. Psyonomagie, die Manipulation des Geistes durch reine Willenskraft, ist eine Kunst, mit der Geron sich nie besch?ftigt hat. Er ist ein Gestikmagier. Seine Heilkr?fte flie?en durch seine H?nde.

  Der Offizier verengt die Augen, mustert ihn misstrauisch. Eine unangenehme Stille breitet sich aus. Dann nickt er knapp einem der Krieger zu.

  Geron atmet erleichtert aus. Zu früh.

  Mit einer langsamen, beinahe genüsslichen Bewegung zieht der Offizier sein Kurzschwert. Das Schwert, mit dem er Ferion get?tet hat.

  Die Klinge ist sauber. Keine Spur von getrocknetem Blut. Jemand hat sie geputzt, poliert. Die sonderbare Klinge reflektiert das flackernde Fackellicht in einem dunklen, undefinierbaren Glanz. Der Offizier setzt die Spitze an Gerons Hals. Nur leicht, kaum spürbar. Und doch wei? Geron, dass eine einzige unüberlegte Bewegung ausreicht, um die Schneide in seine Haut graben zu lassen.

  Ein Beben zieht sich durch seine Glieder, seine Muskeln werden schwer. Die Kraft rinnt aus seinem K?rper, als würde etwas an seiner Energie zehren. Sein Atem geht flacher, sein Bewusstsein verschwimmt für einen Moment. Dieses Schwert ist nicht nur eine scharfe Klinge. Es strahl eine unnatürliche, schw?chende Aura aus.

  Zweimal wird kr?ftig an seinen Handgelenken gezogen, und ein scharfes Brennen f?hrt durch seine Haut. Dann, pl?tzlich, l?sst der Druck nach. Die groben Seile rutschen von seinen Armen, und für einen Moment spürt Geron nichts als ein unangenehmes Kribbeln, als würde sein K?rper noch nicht begreifen, dass die Fesseln verschwunden sind.

  Langsam bringt er seine H?nde nach vorne, dreht sie in den schwachen Schein der Fackeln und bewegt vorsichtig die Finger. Ein dumpfes Pochen pulsiert durch seine Handfl?chen, w?hrend das Blut mühsam zurück in die tauben Glieder str?mt. Wie eine Armee von Ameisen wandert die W?rme von seinen Handgelenken bis in die Fingerspitzen, die nach und nach ihre ungesunde Bl?sse verlieren. Erst in fahlem Rosa, dann in einem warmen Rot kehrt das Leben in sie zurück. Er ballt die H?nde leicht zu F?usten, spürt die Steifheit, das leichte Zittern, das ihn daran erinnert, wie lange sie gefesselt waren.

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  Ein leises Schnauben holt ihn in die Realit?t zurück.

  Geron blickt auf und trifft erneut auf die durchdringenden Augen des Offiziers. Grün und Braun, leuchtend und kalt. Der Blick des Mannes ist lauernd, fordernd. Kein Funken Geduld, nur der unausgesprochene Befehl, der sich in seinen Zügen abzeichnet. Dann folgt die Geste eine knappe, brüske Kopfbewegung, die auf den verletzten Oberschenkel deutet.

  Geron stockt.

  Ein leises, fast unh?rbares Schaben, als sich die Klinge an seinem Hals bewegt. Kein Schnitt, kein Schmerz. Die Botschaft ist eindeutig. Der Druck des Kurzschwerts verst?rkt sich nur um ein winziges Ma?, gerade genug, um die feine Haut an seinem Hals spüren zu lassen, dass ein einziger Atemzug zu viel sein k?nnte.

  ?Jetzt!“, knurrt der Offizier. Seine Stimme ist tief, rau, und tr?gt diesen fremden Akzent, der die Worte wie ein drohendes Grollen klingen l?sst.

  Gerons Atem geht schneller. Er schluckt schwer, spürt, wie sich seine Muskeln unwillkürlich anspannen. Widerworte, Z?gern. Das k?nnte sein Tod bedeuten.

  Er hat keine Wahl.

  Die blo?e Vorstellung, den M?rder seines Freundes zu heilen, schnürt Geron die Kehle zu. Ein eisiges Gefühl von Ekel und Wut kriecht durch seine Adern, sein Magen zieht sich zusammen, als würde er sich gegen die Tat wehren, die er gleich vollbringen soll. Seine H?nde zittern, w?hrend er den Blick auf die klaffende Wunde des Offiziers richtet.

  W?re es Rache genug, ihn verbluten zu lassen? W?re es genug, einfach nichts zu tun und zuzusehen, wie sein K?rper unter dem eigenen Gewicht zusammenbricht? Doch was dann? Ein schneller Tod für den Offizier - und einen ebenso schnellen für ihn selbst?

  Die Gedanken zerren an ihm, rei?en ihn hin und her wie eine tobende Flut. Wut. Angst. Zweifel. Eine Welle aus widerstreitenden Gefühlen droht ihn zu überrollen, doch schlie?lich siegt der Instinkt. Er hat keine Wahl. Nicht jetzt. Nicht hier.

  Z?gernd hebt Geron die H?nde. Seine Fingerspitzen prickeln, als er das Wasser in seiner Hand sammelt. Ein zitternder, schimmernder Schweif bildet sich zwischen seinen Fingern, windet sich und pulsiert leicht, als w?re er lebendig. Dann, langsam und vorsichtig, l?sst er das Wasser in die Wunde des Offiziers flie?en.

  Ein Zucken f?hrt durch den K?rper des Mannes, als die kalte Flüssigkeit die klaffende Haut berührt. Geron spürt, wie das Wasser in der Tiefe der Wunde kreist, wie es versucht, das Gewebe zu vereinen, die Blutung zu stillen. Doch die Verletzung ist tief. Zu tief für das, was er je behandelt hat. Er hat gelernt, kleine Schnitte zu schlie?en, Prellungen zu lindern, Entzündungen zu beruhigen. Doch das hier?

  Das hier ist eine klaffende Fleischwunde, die mit Kr?utern versorgt oder von Feuermagiern ausgebrannt werden müsste. Und nichts davon steht ihm zur Verfügung.

  Als er den Wasserschweif aus der Wunde zurückzieht, blutet sie erneut auf. Dunkelrotes Blut sickert heraus, als h?tte er nichts getan. Gerons Brust zieht sich zusammen. Verunsichert hebt er den Blick und erstarrt.

  Der Offizier beobachtet ihn.

  Seine Augen leuchten nun st?rker als zuvor, das rechte intensiver als das linke. Ein unmenschliches Glimmen, teuflisch und fremdartig.

  Gerons Atem beschleunigt sich. Etwas in ihm, tief in seinem Inneren, beginnt zu brodeln. Die Bilder seines toten Freundes, das Ritual, die Worte des Offiziers, sein h?misches Grinsen. Alles stürzt auf ihn ein, verschmilzt zu einem brennenden Funken, der droht, in ihm zu explodieren.

  Er presst die Lippen zusammen, senkt den Blick erneut auf die Wunde. Ein weiteres Mal führt er den Wasserschweif in das klaffende Fleisch. Doch diesmal ist etwas anders.

  Das Wasser fühlt sich w?rmer an.

  Kein leichtes, erfrischendes Prickeln, sondern eine aufsteigende Hitze, als würde sie direkt aus seinem Inneren hervorbrechen. Ein Schauer l?uft über Gerons Rücken, doch er zwingt sich, weiterzumachen.

  Pl?tzlich ver?ndert sich das Blut.

  Zuerst nur ein schleichender Wandel – von hellem Rot zu dunklem Purpur. Dann immer tiefer, schw?rzer, bis es sich zu einer pechfarbenen, dickflüssigen Substanz verwandelt, die schwer aus der Wunde tropft. Ein feiner Dampf steigt auf.

  Geron h?lt den Atem an.

  Er spürt, wie sich das Gewebe unter seinen H?nden bewegt, wie es sich von selbst schlie?t, die Wundr?nder sich langsam aneinander ziehen. Der Wundgrund steigt nach oben, das Fleisch formt sich, als würde es sich selbst neu erschaffen. Dann, Stille.

  Die Wunde ist verschwunden. Zurück bleibt nichts als eine schmale, blasse Narbe, die sich wie eine fahle Erinnerung über die Haut des Offiziers zieht.

  Geron starrt darauf. Sein Herz rast, sein Verstand versucht zu begreifen, was gerade geschehen ist. So etwas hat er noch nie gesehen. Nicht einmal der Erzmagus des Flutenk?nigs w?re dazu in der Lage gewesen.

  Er rei?t den Blick los und trifft erneut auf die Augen des Offiziers. Sie leuchten noch immer. Vielleicht sogar noch st?rker als zuvor.

  Der Offizier betrachtet Gerons Werk mit unverhohlener Faszination. Seine Finger fahren langsam über die Stelle, an der noch vor wenigen Sekunden eine klaffende Wunde gewesen war. Seine Miene verr?t nichts, weder Erleichterung noch überraschung, doch das Funkeln in seinen grün-braun leuchtenden Augen verr?t, dass er mehr als zufrieden mit dem Ergebnis ist.

  Ohne Eile senkt er das Kurzschwert, das noch immer auf Gerons Hals ruht, und schiebt es mit einem geschmeidigen, geübten Griff in die reich verzierte Schwertscheide an seinem Gürtel zurück. Ein leises, metallisches Klicken hallt durch die Stille des Waldes. Dann, beinahe beil?ufig, verlagert er sein Gewicht auf das zuvor verletzte Bein.

  Geron beobachtet jede seiner Bewegungen mit angehaltenem Atem. Die Art, wie der Offizier das Bein testet, vorsichtig, aber ohne sichtbare Anzeichen von Schmerz, best?tigt, dass die Wunde tats?chlich vollst?ndig verheilt ist.

  Dann, ein süffisantes Grinsen.

  Der Offizier wendet sich einem der Fackeltr?ger zu und beginnt, leise, aber bestimmt mit ihm zu sprechen. Geron versteht die Worte nicht, doch die knappen, befehlenden T?ne lassen keinen Zweifel daran, dass hier kein Lob ausgesprochen wird.

  Ein Fr?steln kriecht Geron den Rücken hinauf. Er senkt den Blick, doch sein Verstand arbeitet fieberhaft. Jetzt oder nie.

  Langsam hebt er den Kopf und l?sst seinen Blick durch die Umgebung schweifen. Der Offizier steht vor ihm, momentan abgelenkt. Rechts von ihm h?lt der zweite Fackeltr?ger die tanzende Flamme dicht an seinem K?rper, das Licht wirft flackernde Schatten auf seine Rüstung.

  Hinter ihm ...

  Geron spürt es, bevor er es sieht.

  Die Pr?senz von mindestens einer Person in seinem Rücken – aber es müssen mehr sein. Er konzentriert sich. W?hrend des Marsches hatte er ihre Schritte geh?rt, ihre Positionen erahnt. Sie waren zu sechst.

  Vorsichtig dreht er den Kopf.

  Da stehen sie: ein Schwertkrieger und zwei Bogenschützen, die Kurzb?gen im Anschlag, die Sehnen straff gezogen, bereit, ihre Pfeile im Bruchteil eines Augenblicks auf ihn loszulassen. Gerons Magen zieht sich zusammen. Er erkennt sie sofort. Es sind die beiden Bogenschützen, die ihn gezwungen hatten, Ferions Tod mit anzusehen. Er schluckt schwer.

  Jetzt wegrennen w?re Wahnsinn.

  Sein K?rper ist leicht, er ist schnell – doch nicht schneller als ein Pfeil. Die Dunkelheit des Waldes k?nnte ihm Deckung bieten, aber nur, wenn er die erste Fluchtsekunde überlebt. Ein einziger Treffer k?nnte ihn aufhalten. Und ein zweiter k?nnte ihn t?ten.

  Die Entscheidung wird ihm abgenommen. Pl?tzlich spürt er einen harten Griff an seinen Armen. Der Schwertkrieger hinter ihm packt ihn grob und rei?t seine Arme gewaltsam hinter seinen Rücken. Geron knirscht mit den Z?hnen, als seine Gelenke schmerzhaft nachgeben.

  Sein kurzes Zeitfenster ist geschlossen.

  Ein dumpfes Gefühl von Hoffnungslosigkeit drückt auf seine Brust. Er presst die Lippen zusammen, schlie?t die Augen und senkt den Kopf. Wo bringen Sie mich hin?

  Die Frage bleibt unausgesprochen, aber sie brennt sich in seine Gedanken. Was haben sie mit ihm vor? Wie lange wird er noch leben dürfen?

  Geron spürt, wie der Krieger hinter ihm das raue Seil um seine Handgelenke legt, seine Finger fest um die Enden geschlungen, bereit, es mit einem einzigen Ruck zu straffen. Gerade als sich der Druck um seine Handgelenke verst?rkt, hallt pl?tzlich ein heller, metallischer Knall durch die Nacht.

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